chiliLetter 2/2021
    

 

 








 

 
  
Liebe Leserin
Lieber Leser
 
Seit 15 Jahren mache ich nun politische Kampagnen und schreibe nicht mehr als Medienschaffender über das tagesaktuelle politische Geschehen. Was ich mir im Rahmen der Regierungsratswahlen im Kanton Solothurn in diesem Frühjahr, die am vergangenen Sonntag mit dem 2. Wahlgang ihren Abschluss fanden, alles ansehen musste, spottet mitunter jeder Beschreibung und war für die Kandidierenden bestimmt die grössere Tortur als das Zittern um Stimmen. Wenn die Regionalsender schon einen auf «Politprofis» machen wollen, dann sollen sie doch ihre Leute mit einem Mindestmass an Vorwissen an die Front schicken. Da wird der Kandidat der FDP im 1. Wahlgang gefragt, weshalb er nur Sechster sei, sein Parteikollege aber souverän auf Rang eins. «Da ist noch Luft nach oben, oder?», sagt der Mann hinter dem Mikrofon keck – um gleich selber anzufügen, dass der Erstrangierte «vielleicht vom Bisherigenbonus profitiert» habe. Aha. Tatsächlich…?! – Oder, zur CVP-Kandidatin, wörtlich: «Hand aufs Herz: Wäre es nicht einfacher gewesen, Sie hätten einen der beiden Sitze schon im 1. Wahlgang gesichert?». Ähhh, ja, gewiss: Ein 1:0 ist immer besser als ein 2:2…
 
Da werden junge Journalistinnen und Journalisten ohne Instruktionen und Infos an irgendwelche Schauplätze geschickt, das Resultat ihrer Bemühungen ist jenseits von Gut und Böse und sie schmeissen den Bettel nach einem Jahr desillusioniert hin. Das geht übrigens schon länger so: Ich stand mal daneben im Rathaus in Solothurn, als ein frisch gewählter Regierungsrat der jungen Lokal-TV-Frau nach der ersten schlicht dämlichen Frage anbot, sie solle ihm doch diese und dann noch jene Frage stellen – «dann kommen Sie gut aus diesem Interview raus. Und ich auch.» Wärs nicht zum Lachen gewesen, man hätte heulen können…
 
Hand aufs Herz, liebe Sender: Eine Parlaments- und Regierungsratswahl, live und in Farbe, eignet sich relativ schlecht als Schnuppertag für Politnovizen.
 
    

 

CDU/CSU
  

Krisenkommunikation mit Klopapier

Ein ganz anderes Lehrstück, wie man es kommunikativ nicht machen sollte, gab in diesen Tagen auch die deutsche Union zum Besten. Zwar wars durchaus unterhaltsam, via Live-Ticker direkt aus den diversen «vertraulichen» Sitzungen mitzubekommen, wer was zu sagen hatte und wer im Rahmen der Ausmarchung für die Kanzlerkandidatur pro Söder oder doch pro Laschet Stellung bezog. Aber unter dem Strich wars ein kommunikatives Trauerspiel, das die beiden Parteien und ihre beiden Schlachtrösser da boten. Vor allem die CDU schien keine Strategie zu haben, weil anders nicht erklärbar ist, wieso Laschets Lager gleich mehrfach vom Agieren des schlauen Bayern, vor und hinter den Kulissen, überrumpelt wurde.
 
Dies übrigens auch bereits im Rahmen des Corona-Krisenmanagements. Wie titelte der «WDR» doch Ende März wunderschön: «Krisenkommunikation mit Klopapier: Söder und Laschet im Fernduell.» Armin Laschet müsse sich gerade fühlen wie viele Kunden vor dem leeren Klopapier-Regal im Supermarkt. Fast immer sei jemand schneller gewesen. Nämlich Kollege Markus Söder. – Entsprechend bittersüss ist denn nun auch der Etappensieg für Laschet. Wird er Kanzler, hat er es Söders generöser Geste zu verdanken. Scheitert er, ist klar: Söder an seiner Stelle hätte es gepackt. Armer Mann. Wie sagte Söder zu Beginn des Bullenkampfes, als er sich in Stellung brachte? «Es geht nicht um mich, es geht um Deutschland! Ich bin bereit!» Wie aufopferungsvoll, nun wusste man: Der arme Kerl wollte gar nicht Kanzler werden. Im Namen des deutschen Volkes aber hätte er sich geopfert.
 
    

 

Genderstern
  

Die Genderstrafe

Das Thema beschäftigt mich beharrlich: Die Verunstaltung unserer schönen deutschen Sprache durch Gendersternchen und Co. Folgende Schlagzeile von «20 Minuten» hat mich diese Woche aufgeschreckt, wenn auch nicht überrascht: «HSG ist die strengste Uni der Schweiz – wer nicht gendert, kriegt schlechtere Noten!» Die Fährte zur Story legte ein deutscher Student, dem an der Uni Kassel Punkte abgezogen worden waren, weil er in einer Übung nicht korrekt gegendert hatte. Sein Protest ob dieser «politischen Entscheidung» sorgte für Aufsehen. Und dafür, dass sich auch in der Schweiz einige Hochschulen auf Medienanfrage hin bemüssigt sahen, Position zu beziehen.
 
So steht es Dozierenden an der Hochschule St. Gallen frei, gendergerechten und inklusiven Sprachgebrauch zu prüfen. In einem solchen Fall, so die Titularprofessorin Gender und Diversity an der HSG, gehöre dieser Gebrauch zum abzuprüfenden Fachgebiet. Sprich: Wer nicht oder falsch gendert, wird schlechter benotet. Die HSG hat damit das schärfste Gender-Regime in der hiesigen Fachhochschullandschaft. Logisch, dass SP-Nationalrätin Tamara Funiciello dies begrüsst. Es sei zu hoffen, sagte sie gegenüber «20 Minuten», dass Dozierende vermehrt auch die Sprache in die Bewertung von Arbeiten würden einfliessen lassen.
 
Da halte ichs für einmal mit einem Mann der CDU. Friedrich Merz gab dem «Spiegel» ein Interview zum Gender-Thema und kreierte dazu auf Twitter Wortschöpfungen wie «Hähnch*Innen-Filet» oder «Spielplätze für Kinder und Kinderinnen». Provokativ? Mag sein. Seine Hauptaussage aber lasse ich so stehen: «Wer gibt diesen Gender-Leuten eigentlich das Recht, einseitig unsere Sprache zu verändern?»
 
    
   
Hierzulande lässt sich wieder häppchenweise Kultur geniessen. Guten Appetit.

Wolfgang Niklaus  
Geschäftsführer chilimedia GmbH